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„Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen“



„Wir leben in einem gefährlichen Zeitalter. Der Mensch beherrscht die Natur, bevor er gelernt hat, sich selbst zu beherrschen.“ An dieses Zitat von Albert Schweitzer muss ich immer wieder denken, wenn ich täglich durch unsere Wälder streife. Denn dass der Borkenkäfer unzählige Fichten abgetötet hat, weil wir zu sehr auf Monokulturen gesetzt haben, ist nur ein Teil der aktuellen Wahrheit. Was aber die Verantwortlichen seit dem Sommer in unseren Wäldern folgen lassen – das ist meines Erachtens noch viel schlimmer als die Borkenkäfer-Kalamität. Es ist (einmal mehr) eine von Menschenhand gemacht Katastrophe: Ich meine den wütenden Aktionismus, mit dem öffentliche wie private Waldbesitzer nach drei Jahren Trockenheit mit den letzten Überlebenden umgehen. Das hat nichts mehr mit Nachhaltigkeit zu tun. Das ist auch kein „Retten, was noch zu retten ist“ – schon allein, weil es nichts mehr zu retten gibt. Das, was in unseren Wäldern passiert, ist nichts anderes als ein absurder Kahlschlag. Es ist die systematische Vernichtung von Lebensraum.


Als wäre der Anblick der trockenen Fichten nicht schon schlimm genug. Aber auf Teufel komm raus pflügen die Harvester über die empfindlichen Waldböden. Ganze Höhenzüge werde schlicht und ergreifend platt gemacht. Ortskundige erkennen ihre lieb gewonnen Orte in der Natur gar nicht mehr wieder, so sehr haben sie sich verändert. Hier wird Heimat grundlos zerstört.


Wo vorher die Fichten standen, ist jetzt – gar nichts mehr. Baumstümpfe bedecken als einziges noch den Boden, wo vorher einmal Wald war. Naturverjüngung, bei der ein neuer Wald unter dem alten heraufwächst, ist hier undenkbar. Sonne und Wind trocknen den Boden aus – wo manche hoffnungsvolle Buche hätte entstehen können, raschelt trockenes Laub an toten Zweigen. Außer riesigen Brombeergestrüppen wird hier wohl kaum noch etwas entstehen. Dabei hätten auch die toten Fichten noch einige Jahre Schatten gespendet.


Völlig absurd ist aber das Verhalten selbsternannter Experten, die wenigstens noch ein bisschen Geld aus ihrem malträtierten Wald herauspressen wollen. Und die fangen an, jetzt auch noch die gesunden Bäume zu roden. Buchen, die durch die Trockenheit geschwächt, aber noch standhaft sind, fallen der Säge ebenso zum Opfer wie gesunde Fichten, die das Glück hatten, auf hinreichend feuchtem Boden zu stehen. Riesige Holzpolter flankieren die Wege und drängen sich neben die schon faulenden Stämme, die vor etlichen Jahren hier gestapelt und augenscheinlich vergessen wurden. Was für ein Irrsinn.


Wald ist aber eben kein Rohstoff-Reservoir, sondern er ist vor allen Dingen Lebensraum. Und der wird vernichtet. 75 Prozent der Biodiversität gehen aufgrund eines völlig fehlgeleiteten Aktionismus dahin. Waren früher Totholz-Anteile in einem Forst ein Gütezeichen für eine gesunde Umwelt, gibt es jetzt weder Forst noch Totholz. Nisthöhlen für Schwarzspecht, Meise, Hohltaube oder Sperlingskauz sind futsch. Das Insektensterben findet in diesen Ödnissen nach dem Debakel auf den Agrarsteppen seine traurige Fortsetzung.

Darum fordere ich alle Verantwortlichen auf: Stoppt diesen Kahlschlag. Die Umweltkatastrophe entspringt der menschlichen Dummheit, weil wir nicht schnell genug in der Lage sind, die Klimaerwärmung zu stoppen. Aber dass die Dummheit so weit geht, dass wir aus diesem Desaster nicht nur nichts lernen, sondern das wenige Verbliebene auch noch mit aller Kraft zerstören, das übersteigt meinen Verstand.


Von Eugen Roth stammt das Zitat: „Zu fällen einen schönen Baum, braucht’s eine halbe Stunde kaum. Zu wachsen, bis man ihn bewundert, braucht er, bedenkt es, ein Jahrhundert!“ Aber ich möchte nicht, dass 100 Jahre ins Land gehen, bis meine Enkel wieder an den grünen Waldrändern herumstreifen und die schöne Natur ihrer Heimat entdecken können. Ich möchte, dass der Wald stehen bleibt und wir alle Kraft aufbieten, ihn zu schützen – oder das, was noch von ihm übrig ist.

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