Femizide sind geschlechtsspezifische Morde
- Frederick Lüke
- 25. Nov.
- 3 Min. Lesezeit

Rede zum 25. November – Mahnwache gegen Femizide im Kreis Paderborn
Liebe Anwesende,
wir stehen heute hier, weil wir nicht länger schweigen wollen. Wir stehen hier, weil Frauen sterben – weil sie Frauen sind.
Der 25. November ist kein Gedenktag wie jeder andere. Er ist ein Tag, an dem wir hinschauen müssen, selbst wenn es weh tut. Ein Tag, an dem wir Trauer in Forderung verwandeln. Ein Tag, an dem wir sagen: Genug.
Femizide – Gewalt, die Frauen das Leben nimmt, weil sie Frauen sind
Femizide sind keine Einzelfälle. Sie sind kein „Beziehungsdrama“. Sie sind kein „Streit unter Partnern“.
Femizide sind die tödliche Spitze eines Systems von Kontrolle, Macht, Besitzdenken und patriarchaler Gewalt. Sie beginnen nicht mit dem Mord. Sie beginnen mit Abwertung. Mit Angst. Mit Kontrolle. Mit Isolation. Und oft enden sie, wenn eine Frau sich trennt, sich befreit, „Nein“ sagt.
Was in diesem Jahr hier, im Kreis Paderborn, geschehen ist
Wenn wir über Gewalt sprechen, dann sprechen wir nicht über etwas, das „woanders“ passiert. Wir sprechen über das, was hier, in unserer Nachbarschaft, in unseren Straßen geschehen ist.
1. Paderborn-Elsen – August 2025
Eine 21-jährige junge Frau wird in ihrer Wohnung getötet. Nach bisherigen Erkenntnissen wurde sie von ihrem Partner erwürgt und mit einer Schere attackiert. Ein Mensch, dem sie vertraut hat. Ein Mensch, der ihr das Leben genommen haben soll.
2. Paderborn-Elsen – November 2025
Eine 36-jährige Frau wird mutmaßlich von ihrem getrennt lebenden Ehemann mit einer Spritze vergiftet. Sie erleidet einen lebensbedrohlichen Atemstillstand. Nur weil eine Passantin ihren Schrei hört und sie wiederbelebt, überlebt sie.
Diese beiden Fälle stehen nicht allein. Sie stehen für ein Muster. Sie stehen für alle Frauen, die Gewalt erleben, allein damit leben müssen, sich nicht trauen, etwas zu sagen. Für alle Frauen, die jeden Tag bedroht werden, ohne dass es in die Zeitung kommt.
Das, was wir sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs.
Frauenhäuser – gefüllt bis an die Grenze und darüber hinaus
Und während diese Gewalt weitergeht, passiert etwas, das uns als Gesellschaft beschämen müsste:
Frauenhäuser müssen Frauen abweisen. Immer wieder. Auch hier im Kreis Paderborn.
Frauen, die fliehen. Frauen, die in Angst leben. Frauen, die dringend Schutz brauchen. Und die dann hören: „Es tut uns leid, wir haben keinen Platz.“
Wie kann es sein, dass Schutzräume nicht für alle reichen, die Schutz brauchen?
Wie kann es sein, dass Frauen, die um ihr Leben fürchten, an der Tür zum Schutzraum scheitern?
Wie kann es sein, dass ein reiches Land wie unseres nicht einmal die Mindeststandards der Istanbul-Konvention erfüllen kann?
Die Istanbul-Konvention fordert 1 Frauenhausplatz pro 10.000 Einwohner. Doch die Realität zeigt: Diese Empfehlung reicht nicht. Nicht bei der Menge an Gewalt. Nicht angesichts der Dunkelziffer. Nicht angesichts der Tatsache, dass jede Verzögerung, jeder fehlende Platz Leben kosten kann.
Vielleicht ist es Zeit, diese Empfehlung zu überdenken. Vielleicht ist es Zeit, die Realität ernst zu nehmen und nicht die Statistik. Vielleicht ist es Zeit zu sagen:
Wir brauchen mehr Schutzplätze. Wir brauchen mehr Finanzierung. Wir brauchen mehr politische Priorität. Und wir brauchen es jetzt.
Warum wir hier sind
Wir stehen heute hier für die Frauen, die nicht mehr sprechen können. Für die Frauen, die überlebt haben. Für die Frauen, die jeden Tag kämpfen. Für die Frauen, die heute Abend Angst davor haben, nach Hause zu gehen.
Wir stehen hier, weil jede Frau ein Recht auf Sicherheit hat. Ein Recht auf ein Leben ohne Angst. Ein Recht darauf, nicht bedroht, geschlagen oder getötet zu werden.
Was wir fordern
Wir fordern, dass Femizide als das anerkannt werden, was sie sind: geschlechtsspezifische Morde.
Wir fordern Schutzräume, die offen sind – nicht voll. Wir fordern Frauenhäuser, die niemanden abweisen müssen. Wir fordern Prävention, die früh ansetzt. Wir fordern ein System, das Frauen schützt, statt sie im Stich zu lassen. Wir fordern Aufklärung, Ressourcen, politischen Willen.
Und wir fordern eine Gesellschaft, die nicht mehr wegschaut. Nicht mehr verharmlost. Nicht mehr schweigt.
Heute tragen wir Kerzen. Morgen müssen wir Forderungen tragen. Heute stehen wir hier gemeinsam. Morgen müssen wir weiterhin gemeinsam laut sein.
Für die Frauen, die gestorben sind. Für die Frauen, die überlebt haben. Für die Frauen, die noch kämpfen. Für die Frauen, die uns brauchen.
Wir stehen hier – und wir schweigen nicht. Nicht heute. Nicht mehr.
Danke, dass ihr da seid. Danke, dass ihr mit uns steht.

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