„Zwei Jahre Kinderschutzgesetz – Erkenntnisse und Perspektiven“ lautete das Thema zum Auftakt meiner Reihe von Fachgesprächen, die ich unter dem Oberbegriff „Gelingender Kinderschutz“ veranstaltet habe. Schon die Anmeldezahlen zeigten, wie sehr vielen Fachleuten dieses Thema am Herzen liegt. Knapp 70 Vertreterinnen und Vertreter vieler Jugendämter, von Jugend- und Interessenverbänden und kirchlichen Organisationen aus ganz NRW brannte das Thema unter den Nägeln. Das große Interesse war auch den Referent*innen geschuldet: Ursula Enders (Zartbitter e.V. Köln), Professorin Dr. Heike Wiemert (Katho Köln) und unser Staatssekretär Lorenz Bahr vom Familienministerium zogen ihre jeweiligen Bilanzen.
Staatssekretär Lorenz Bahr
86 Millionen Euro stellt das Land für den Kinderschutz zur Verfügung, davon 69,5 Millionen als Belastungsausgleich für die Kommunen, führte Staatssekretär Lorenz Bahr aus. Sein deutlicher Wunsch: Die Qualität der Jugendämter stärken und aus schwierigen Fällen lernen. 41 Jugendämter bewarben sich für ein Pilotprojekt, 18 [TD2] wurden ausgewählt: „Die Jugendämter stellen sich aktiv der Mitgestaltung“, so Bahr. Ziel des Projekts Ende September: Die Wahrnehmung der Aufgaben nach den Paragrafen 7 und 8 des Landeskinderschutzgesetz, wo es um die Qualitätsberatung und Qualitätsentwicklungsverfahren, welche sich besser als eine – wie so häufig geforderte Fachaufsicht der Jugendämter – für eine Verbesserung geht. Als zusätzlichen wichtigen Meilenstein bezeichnete er die Bildung einer bzw. eines Unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte, der in der Zukunft eingesetzt wird.
Ursula Enders
„Ich haben supergute Laune“ begann Ursula Enders ihre Präsentation. Sie verglich den Kinderschutz nach den Vorfällen von Lügde mit einem Gebäude, für das eine Kernsanierung ansteht. Fundament dieses Gebäudes sind die Kinderrechte. Immerhin gab es eine positive Entwicklung: „alle schauen hin!“, so Ursula Enders. Die umfangreichen Arbeiten brachten unerwartete Überraschungen hervor: „Es gab bedeutende inhaltliche Lücken“ wie sexualisierte Gewalt unter Geschwistern und Peer-to-Peer-Gewalt. Die Jugendämter indes tun ihr leid, „die können gar nicht mehr leisten“. Ihre Forderung an dieser Stelle: In den Fachberatungsstellen müssen für ein funktionierendes Fallmanagement Teams aus mindestens drei Vollzeitkräften gebildet werden. Kaum vorhanden sind Hilfeangebote für Opfer im Vorschulalter, für männliche Jugendliche, für Kinder mit Behinderungen, Homosexuelle und für Eltern und Geschwister von Opfern: „Wir haben einen Bedarf von bis zu 200 Beratungsstunden pro Fall“. Gleichzeitig fordert sie Menschen mit Interventionserfahrung in der Präventionsarbeit. Sie lobte den Landtag für die Vergabe des Gutachtens zum Thema „Kinderschutz im kommerziellen Raum“. Viele Schulen indes orientieren sich an den Empfehlungen des UBSKM (Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs), „da steht viel Blödsinn in den Schutzkonzepten“. Als dringend bezeichnete sie die Schaffung externer Beschwerdestellen für Kinder.
Professorin Dr. Heike Wiemert
„Inklusion im Landeskinderschutzgesetz stärken“ überschrieb Professorin Dr. Heike Wiemert ihre Präsentation. Kinderschutz und Kinderrechte sind untrennbar
miteinander verbunden. Dabei sind die besonderen Belange von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung zu beachten“, machte sie deutlich. Weil es Hinweise gibt, dass die Belange von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen nicht angemessen berücksichtigt werden, monierte sie die getrennten Zuständigkeiten in getrennten Leistungssystemwelten. Als Folge benannte sie, dass Angebote des Kinderschutzes nicht barrierefrei und nicht auf die Bedarfe junger Behinderter ausgerichtet seien. Zielperspektive sei daher die Überwindung der Systemgrenzen und -logiken sowie eine politische Strategie. Verschiedenes Verständnis von Inklusion sowie von Kinderschutz führt zu Problemwahrnehmungs- und Handlungsebenen. Ein weites Verständnis des Kinderschutzes diene der Prävention ein enges Verständnis der Intervention. „Alle Handlungsebenen des Kinderschutzes müssen neu gedacht werden“. Ihre Perspektiven für das Landeskinderschutzgesetz NRW: Schutzlücken identifizieren und schließen, koordiniertes Handeln an den systemischen Schnittstellen und Barrierefreiheit sicherstellen.
Starker Austausch
Der Fachkräftemangel, fehlende Vereinbarungen mit Kindestagepflege-Einrichtungen, Kinderschutzkonzepte von jeder Institution, die mit Kindern arbeitet: Viele Fragen und Statements machten die Sichtweise der Gäste deutlich. Mein Fazit: Wir haben das stärkste Kindeschutzgesetz aller Bundesländer, aber dennoch liegt eine riesige Baustelle vor uns. Denn das müssen wir unseren Kindern mitgeben: Sie haben Rechte. Und wir Erwachsene sind verantwortlich sie zu schützen.
Ausblick
Rasch waren die sehr aufschlussreichen zwei Stunden vorbei, mancher nutzte zum Abschluss die Gelegenheit zum Austausch. Dieser Austausch ist wichtig, um voneinander zu lernen und um Möglichkeiten der Verbesserung zu diskutieren. Darum freue ich mich auf die nächsten Veranstaltungen, die bereits geplant sind: Am 18. September geht es wieder von 17 bis 19 Uhr um Peer-to-Peer-Gewalt, am 5. November werden wir über Inklusiven Kinderschutz sprechen. Noch nicht terminiert, aber bereits fest ins Auge gefasst sind die Themen medizinischer Kinderschutz, kindgerechte Justiz und Aufarbeitungsprozesse, die in 2025 behandelt werden.
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